Im Quadrat der Silberfischchen
Eine Utopie
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Sachbuch: Qual
Das Würgeband schneidet sich ins Fleisch, die Kette ratscht an der Brust entlang. Schrammen, blutig, endloses Belecken. Da kauert man sich in die Ecken, zwischen den Kothaufen, Knochensplittern, in den getrockneten Urinpfützen, hinter dem Gitterzaun, sich hinstreckend, bis vor den umgekippten Napf, zum verdunsteten Rest Wassers. Allein das Schnappen nach den Fliegen fantasiert die Illusion von Nahrung. Wenn Trockenfutter auf einen regnet, geschmissen von der gefürchteten Pranke, wie Steinigen, auf der verdorrten Haut, den fleischlosen Rippen. Der Reflex schnappt sich Brocken, das Runterwürgen fordert Flüssigkeit. Wasser. Wenn dann der scharfe Strahl dich peitscht, den Bottich kippt und nur die Kette eines anderen bis zu deinem Dorthin reicht, bist du verloren.
Die Umweltpolizei, Seprona, wurde informiert. Über den Zustand der Hunde in dem Zwinger des Jagdbetreibers. An die zweihundert Tiere vegetieren dort vor sich hin. Man entdeckt Kadaver, halb verscharrt hinter den Käfigen. Knochenreste überall. Ein Zeichen dafür, dass sogar Fleisch toter Artgenossen an die lebenden Hunde verfüttert wurde. Beim Durchkämmen des Geländes wird eine Rennstrecke für Galgos entdeckt. Zum Training für die Hetzjagd oder als illegale Wettkampfstätte. Weit außerhalb der Finca, in einem kleinen Waldstück, erwartet die Tierschützer ein grausiges Bild. Drei halb verweste Hundekörper hängen zum "Klavierspielen" in den Ästen der Bäume. Das Seil der Schlinge um den Hals ist gerade so lang, dass der Hund mit den Hinterläufen noch hoffnungsvoll den Boden streift und sich zu Tode strampelt.
Im Kofferraum ist es heiß, beinahe luftlos. Man wurde an den Ketten herausgezerrt, gepackt und einfach federleicht hineingeworfen. Kein Winseln. Das sich Ducken und Kleinmachen fand schon immer tief drinnen statt, in den großen, pumpenden Herzen, zwischen dem Gerippe und den erzitternden Flanken. Argwöhnend, was einen erwartet. Dieses Mal kein Rennen mehr und keine Jagd. Geringschätzig und nüchtern hatten die Prankenmenschen uns gegriffen. Unaufgeregt, lauernd und hinterrücks. Man kann sie lesen, die Prankenmenschen. Die Fahrt dauerte nicht lang, holprig, staubig und dann der Geruch der Schattenbäume. Die Männer lachen laut. Es riecht nach Bier. Unberechenbar. Zaghaft lodert der Fluchtinstinkt. Entschlüpfen, wenn die Klappe aufgeht. Schnell entkommen, ein paar Haken schlagen, wie man es von den Hasen gelernt hat. Dann können sie einen nicht treffen, mit den Blitzkugeln, die alles Laufende tot machen.
Der Tod trat nach ungefähr sieben Stunden ein. Das strangulierende Zappeln verursacht Einblutungen in den Bandscheiben der Halswirbelsäule, Lähmungen sowie Ausfälle der Blutzirkulation im Gehirn. Der Sauerstoffgehalt im Blut ist so lange ausreichend, bis der Kreislauf zusammenbricht. Die Todesursache ist also sehr langsames Kreislaufversagen. Weder ein Genickbruch, der nur beim idealen Verhältnis zwischen Fallhöhe und Körpergewicht eingetreten wäre, noch die Strangulation, welche zum Erstickungstod geführt haben würde, hat die Tiere erlöst.
Die Männer lachen laut und sind erregt. Schließen lauthals Wetten ab. Mit den Flaschen zeigen sie auf die Opfer. Das Heraushieven aus dem Wagen, mit dem Seil um den Hals. Dann wurde ein Ast gebrochen und noch einer. In Erwartung der Prügel sich tot stellen, schwer machen im Nackengriff hängenlassen. Verlangsamt ist die Zeit, verharrend in sich, wenn man nicht weiß, was kommt. Überdeutlich trifft die Erkenntnis, wie es von statten gehen wird. Wenn einer von uns pisst und Kot verliert, tritt man auf ihn ein. Dann schreit alles aus ihm heraus und gerät in Panik. Zappelnd sich windend unter der Pranke. Das Seil wird um den Ast geschlungen und der Körper in Position gehievt. Der Mann brüllt Stillhalten und schlägt zu. Das Pendel baumelt, hin und her, röchelnd, zappelnd, fiepend, sich windend. Als es steht und schweigt, sind sie zufrieden. Der ideale Abstand zum Boden, jene Haaresbreite. Auch ich werde gepackt. Ja nicht wehren. Sich nicht in die Hose machen. Kein Auffallen. Nur ergeben und unendlich schwer werden. Ich lasse mich hängen. Erreiche mit den Nägeln, den Fußballen den Boden hoffnungsvoll. Stehversuche, das Reißen im Körper. Beim Schwanken steift sich einem der Nacken. Krampfartig, das Zuziehen. Panik schießt ins Hirn, das Winden beginnt, Bruchteile ohne Bodenberührung, beim Stützversuch nach Luft ringend. Ich weiß: Ganz von allein scharren meine Füße jene Kuhle, die mich den Kontakt zur Welt verlieren lässt. Die letzte Erde unter meinen Hinterläufen wird sich zurückziehen, immer weiter weg. Aufgewirbelt, verflogen, untergraben. Dann werden einem die Sinne schwinden und man ist nur noch Nichts.
Aufarbeitung Spanienmassaker
Jähe Hunde, zappelnd hängend an Bäumen. Das erste Bild erschlägt mich fast, umgeschaltet, ohne Vorbereitung. Plötzlich ein Mensch. gleiche Position. Schlenkernd suchen zuckende Zehenspitzen beim Stepptanz den Bodenkontakt. Alles dreht sich und im Gerichtssaal ist Totenstille. Überall liegen Liquidierte. Die Einschusslöcher, Austrittswunden. Ich sehe mich gezwungen werden hinzusehen und beginne im Jetzt zu heulen. Dann wird alles schwarz.
Es ist alles gut. Kommen sie zurück. Nichts passiert.
Er streichelt meine Schulter und spricht sanft auf mich ein.
Sehen sie mich an, bitte.
Jetzt werde ich auf ihn hin gedreht.
Ich habe sie vorgewarnt. Jetzt wissen sie, was ich meine. Man kann es nicht vorher erklären, die ganzen Gefühle, Gedanken und Erinnerungen. Es hilft jedoch, wenn wir zusammen die Bilder analysieren und für das Weitere vorbereiten.
Ein durchdringend mitfühlsamer Blick hält mich fest.
Wie fühlt sich das Erlebte an?
Ich wische mir mit dem Ärmel über die Augenpartie. Hier gibt es keine Kleenextücher, die früher immer griffbereit waren.
Aufgehängt strampeln die aussortierten Jagdhunde sich zu Tode. Kommt diese Tierquälerei in ihrem Buch vor?, will er jetzt von mir wissen.
Ja. Denn das Mitleiden hat mich verrückt gemacht. Wurde mir etwa deswegen vorgeworfen, zu der gegen die Täter gekehrten Foltermethode angestiftet zu haben?
Im Saal stehen Menschen auf, drehen sich mit dem Rücken zum Gericht und bellen lauthals. Es fallen Schüsse.
Brinkmann blättert in der Papierakte. Es sei unumstritten, dass die Aktivisten auf die Qual der Jagdhunde und die Jagdmethoden hinweisen wollten, weswegen jene Tötungsart in der Mordserie vorkam.
Der Staatsanwalt ruft in die Menge: Lenken sie nicht ab! Geben sie doch endlich zu, dass es ihre verschrobenen Texte sind, die als eine Art Legitimation für Terror und Gewalt dienten!
Mir hat sich da nie ein Zusammenhang erschlossen, flüstere ich und sacke in mich zusammen. Ich habe damals offenbar gar nichts verstanden.
Sind sie bereit, noch einmal tiefer zu gehen?
Ich nicke.
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Sachbuch: Ausgerechnet die Tiere! (Mitgeschöpfe)
"Solange Menschen denken, dass Tiere nicht fühlen, müssen Tiere fühlen, dass Menschen nicht denken." (PeTA)
Für ein weiteres friedvolles Zusammenleben auf diesem Planeten sollten wir mit unserem mitfühlenden Blick auf die Schwächsten der Gesellschaft nicht bloß die menschliche Spezies betrachten, sondern unsere Empathie, wie oben dargestellt, auf die vielen noch rechtlosen Mitgeschöpfe erweitern. Aber warum sollte ausgerechnet der Umgang mit unseren Mitgeschöpfen eine so große Bedeutung für unsere Zukunft haben? Folgendes Zitat verdeutlicht den Grund:
„Solange es Schlachthäuser gibt, wird es Kriege geben!“ (Leo Tolstoi).
Auch Mahatma Gandhi sieht, wie Tolstoi, in unserem Umgang mit den Tieren einen Indikator für den moralischen Fortschritt und glaubt an die moralische Weiterentwicklung, wenn der Mensch das Töten von Tieren aufgibt. Da wir aber (noch) nicht bereit sind, darauf zu verzichten, Tiere aus den verschiedensten Gründen zu missbrauchen, zu quälen und zu töten, bleibt das Zulassen des massenhaften Leiden von Lebewesen ein (unter)bewusster Teil unserer Kultur.
Anton K. schreibt in seinen Essays: "Es mag ab und an ein Unwohlsein zu spüren sein, hier und da ein schlechtes Gewissen zum Vorschein kommen, aber solange wir das elendige Martyrium mit seinem blutigen Ende dulden und akzeptieren, ist es für uns eine nebensächliche Normalität, oder bestenfalls eine unangenehme verdrängte Alltäglichkeit . . . die allerdings ihren Tribut fordert."
Was macht diese allumfassende Grausamkeit mit uns Menschen?
Erinnern wir uns: Mitgeschöpfe, welche die Kriterien des Subjekt-eines-Lebens erfüllen, müssen in unsere moralische Wertegemeinschaft aufgenommen werden. Das Leiden - lassen, oder Töten eines Lebewesens widerspricht unserer moralischen Intuition. Das Töten geht weiter und bringt uns trotz des Verdrängungsmechanismus und des "Abschaltens" in ein moralisches Dilemma. Wenn wir also um dieses tägliche millionenfache Morden wissen, es aber nicht sehen und nichts dagegen unternehmen wollen, kann das nur bedeuten, dass wir in einem riesigen Selbstbetrug leben. In einer Lüge, in der unsere moralischen Werte faktisch wertlos sind, da sie eben doch nicht für alle gelten.
Wir leben in moralischen Parallelwelten: Einen relevanten Wert erhält das niedliche Katzenbaby im Youtube Video, aber nicht das eingepferchte Schlachtschwein; der auf der Autobahn verunglückten Kleinfamilie kommt ein hohes Maß an moralischer Zuwendung zu, aber nicht den 53 ertrunkenen Flüchtlinge im Mittelmeer. Moralisch überfordert relativieren wir alles automatisch. Da aber der inhärente Wert von allen Mitgeschöpfen gleich ist (egal ob bei Mensch oder Tier) und nicht verloren gehen kann, sind wir verpflichtet, uns um Gleichberechtigung zu kümmern. Bisherige politische Versuche sind nur zum Teil geglückt (Frauen dürfen ohne die Zustimmung ihres Ehemannes arbeiten, aber immer noch ihr Gehalt geringer als das der männlichen Kollegen), und beinhalten weiterhin jene Widersprüchlichkeit, die zu vielschichtigen, ambivalenten Verhaltensweisen führt, welche sich auf unsere Beziehungen zu unserer Mitwelt und unseren Mitgeschöpfen auswirken. Wir haben gelernt mit diesen Paradoxien, Ambivalenzen, und Schizophrenien umzugehen (die Politiker haben das alles schon irgendwie im Griff), und wissen, dass wir manipuliert werden (Konsum) und manipulieren deswegen selber (Streben nach Vorteilen/ Egoismus). Wie anstrengend, dieses immerwährende Kalkulieren und Abwägen! Welch ungeheure Ressourcenverschwendung! Am Ende glauben wir uns selbst alles, denn wir sind die perfekten Lügner geworden!
Ich wage die These aufzustellen, dass uns der übermäßige Fleischkonsum ‚blutrünstig‘ und unempfindlicher gegen das Töten eines jedweden Mitgeschöpfes macht. ´Blutrünstig´ heißt nicht, dass ich selbst eine höhere Bereitschaft zum Töten zeige, aber meine Akzeptanz das Töten als notwendiges Übel zu tolerieren, ist sehr groß. Nur noch ein kleiner Schritt trennt die Toleranzschwelle vom geschlachteten Mitgeschöpf (einer anderen Spezies), zum getöteten Menschen, in irgendeinem Krieg mitleidlos ausblutend auf der Straße liegen gelassen wird.
Das schlimmste aber ist, das wir gar nicht ohne das Töten leben können, dass wir es seit Menschengedenken für einen Teil unseres Wesens halten, für unsere ‚dunkle’ Seite, die es ja nach Meinung einiger Weltreligionen immer geben muss. Die Ausprägungen der Ungerechtigkeiten auf diesem Planeten sind so vielfältig wie es Menschen gibt, ihre Beweggründe hingegen haben aber immer denselben Antrieb: Egoismus! Der Gedanke, dass mein Ich wichtiger ist und über dem Anderen (Mitgeschöpf) steht kann derzeit als größtes Problem bezeichnet werden. Wenn "das Ich" es schaffen würde, sich selbst im anderen Mitgeschöpf zu erkennen, also dessen Gefühlswelt und Handeln nachzuvollziehen und zu verstehen, dann hätten wir einen großen Schritt hin zu einer glücklicheren Gemeinschaft für alle Lebewesen gemacht. Der Schlüssel hierzu ist Empathie, die Fähigkeit, die Lebenswelt aus der Sicht meines Mitgeschöpfes zu betrachten.
„Mitleid mit den Tieren hängt mit der Güte des Charakters so genau zusammen, dass man zuversichtlich behaupten darf, wer gegen Tiere grausam ist, könne kein guter Mensch sein.“
Das Zitat von Arthur Schopenhauer weist uns die Zukunft. Denn wenn wir für alle Geschöpfe eine Welt in Frieden und Glück schaffen wollen, muss Voraussetzung sein, dass wir uns ehrlich und tatkräftig darum bemühen gute Menschen zu werden.
Ein langer Prozess, der sicherlich viel Anstrengung, Fantasie und Kreativität erfordert.