Kapitel 14
Kompetenzgewinn zwei „Spielen“, die blödsinnige Broschüre, das raffinierte Schulkonzept, Gedankenklau der Visionen
Der Mensch ist spielend, das Tier nicht. Oder vielleicht umgekehrt?
Wie gesagt, in unserer Gemeinschaft, die eher einem kontemplativem, klosterähnlichen Ort ähneln sollte als einer Kommune oder einem Freistaat (siehe Christiania), wäre das zu Schaffende die treibende Kraft, welche Zielsetzungen, Vorgehen und Handeln sozial und pädagogisch formt. Man könnte kritisieren, dass an einem solchen Ort Ästhetik zur Religion erhoben werden soll. Warum nicht? Etwas, dass gut ist, aus uns und allem entsteht, muss doch auch geistlich Einfluss auf uns nehmen dürfen.
Und wenn diese spirituelle Art zu Denken sowieso alle Gemeinschaftsmitglieder gleichmütig antreibt, wird jeder von ihnen ein guter, edler Mensch sein wollen und entsprechend handeln.
Ist es nicht anrührend, diese Idee in unserem selbst entworfenen Wappen zu erkennen? Als Blase mit der Insel im Spiegel vor Allem und Nichts? Welch eine ausdruckstarke Metapher für Gewogenheit und Gerechtigkeit.
Solch hehren Zielen, philosophischen Spitzfindigkeiten und Visionen eine pädagogische Richtung zu geben, alles in ein Konzept zu gießen und eine Schule entstehen zu lassen, erwies sich allerdings als äußerst ambitiös.
Wir gründeten zwei Expertenteams, eins mit den Inhalten Kunst und Kultur und das andere für die Themen Natur und Tiere Innerhalb der Gruppen sind jeweils Pädagogen, Handwerker, Fachlehrer, Wissenschaftler und Religionsvertreter bzw. Esoteriker bemitgliedert. Das Innen* lasse ich mal weg. Beisitzende Elternvertreter werden zunächst belächelt und als unmündig angesehen. Anfänglich sitzen diese Leute verwirrt, unschlüssig und (noch) schweigend dabei.
Irgendwann jedoch platzte einer Mutter der Kragen. Am ganzen Leibe zitternd springt die Frau auf und räuspert sich angestrengt. Sie habe noch nie so einen Schwachsinn gehört! Das Alles gehe doch total an der Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen vorbei! Ob man denn kein Gespür für deren Bedürfnisse habe? Für deren Ängste und Unsicherheiten gegenüber der Welt und den eigenen Talenten? Wer denn der Adressat dieser hehren, verkopften Ziele sei? Doch wohl nicht ihr Sohn!
Während sie wütend den Raum verlässt, beginnt jemand von unseren Experten zu rufen, dass er der Dame beipflichten würde. Er habe geahnt, dass man auf die falsche Spur geraten sei! Müsse man sich nicht ebengenau im Sinne der Ursprungsidee gegen die Verkopfung, Verwissenschaftlichung und Edikte wehren? Wir legen uns offenbar selber gerne Fesseln an! Denkt Frei! Denkt wie die Kinder! Im Spiel!
Beide Gruppen beackerten das Thema regelrecht. Die Naturalisten und Tierfreunde auf dem Niveau des spielerischen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen durch Verhaltensbiologie, Land,- und Klimawirtschaft, die Kunst - und Kulturleute stürzten sich auf das Spielen mit den philosophischen Maximen, der (für unser Projekt erwähnten) Vordenker. Gewiss, es fiel den Kulturleuten leichter als den Naturleuten, ihre Gedanken und Prinzipien als Kompetenzen darzustellen oder die Fazite in das Konzept einzugießen.
Das vorläufige Ergebnis wurde damals auf dem Laptop eines Kollegen gespeichert (leider nicht auf eine externen Festplatte, was sich noch als grober Fehler herausstellen sollte).
Meine Gruppe und wollte versuchen, aus den Ergebnissen Kompetenzmuster für das didaktische Konzept zu entwickeln. So hieß es zum Beispiel bei Kompetenzgewinn 2:
Das Spielen fördert von allen Vorgehen die meisten Kompetenzen: Human,- Selbst- und soziale, handlungs- und Methoden, sowie Lernkompetenz. Kommunikative Kompetenzen werden phasenweise auf anderer Ebene genutzt.
Das Spiel ist das Wesen unserer projektorientierten Unterrichtssituation. Nach dem Motto Friedrich Schillers “Der Mensch ist nur ganz da Mensch, wo er spielt“, stützt sich jegliches Lerngeschehen auf spielerisches Tun. Also den Spieltrieb. Im Spielen kommen Begierde und Vernunft übereins. Spielen ist zunächst zweckungebunden, nähert sich dann aber über das Wollen der Sinnhaftigkeit immer mehr an und formt mit Hilfe ästhetischen Handelns den ganzheitlichen Menschen. Jeder Spieler ist ein Künstler, der durch ästhetisches Handeln Kultur beisteuert. Im Gegensatz zu Lernspielen und geleitetem Erfahrungslernen im Regelspiel (homo faber) ist der homo ludens frei von Regel und Norm. Das gleiche gilt für die Tiere, denen Spiel und Ausprobieren das Überleben in der Wildnis sichert.
Jedes Geschöpf spielt. Das ist die zweite Maxime.
Sehr elitär ausgedrückt.
Um den potentiellen Kunden – also interessierten Schülern und Eltern – einen Überblick über unser schulisches Angebot zu geben, entschloss sich die Gründungskommission, eine übersichtliche, triviale Schulbroschüre aufzulegen. Diese sollte den didaktischen Rahmen möglichst vereinfacht vorstellen und mit den anvisierten pädagogischen Zielen des Projektunterrichts in Einklang bringen.
Ich selber empfand diese Vereinfachung als Verrat der Sache gegenüber. Denn, wie schon anfänglich beschrieben, wäre das Besondere an unserem Internat, dass die Schule eigeninitiiert durch die Schüler, also aus sich heraus, erwachsen würde. Die Kinder und Jugendlichen begännen im Idealfall selbständig eigene Ziele anzuvisieren und adäquate Lernwege zu finden. Wie bei einem Projekt üblich, wären wir, die Lehrer und Experten, Begleiter und Helfer. Dazu brauchte es eigentlich kein außenwirksames Konzept. Eine Broschüre würde sich demnach erübrigen.
Ein Beispiel, wie das Projekt für den Kunden „gefügig gemacht“ und auf lapidare Inhalte hinuntergebrochen worden war, ist der Text zu Kompetenzgewinn zwei (hier im Original vorhanden).
Punkt Zwei:
Frei nach dem Motto Friedrich Schillers „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt!“, ist das Spielen wesentlicher Bestandteil unseres Schulkonzepts. Es dient dem individuellen Erkennen und Ausleben der wichtigsten Kompetenzen, die in ihrem Kind als individuelle Fähig- und Fertigkeiten bereits angelegt sind. Im Spiel kann ihr Sohn/ihre Tochter diese besonderen Eigenschaften an sich entdecken, frei ausprobieren und eine ganzheitliche emotionale und geistige Persönlichkeit entwickeln. Er/sie wird sich vielleicht über Kunst ausdrücken, oder später auf andere Art und Weise an der kulturellen Entwicklung der Gesellschaft teilhaben. Als wesentlicher Bestandteil unserer Lernwelt tragen auch die Tiere zur Entwicklung ihres Kindes bei. Denn das Beobachten fremder Wesen und der spielerisches Umgang mit ihnen fördert nicht nur die Sensibilität des jungen Menschen, sondern lehrt ihn auch den Respekt vor der Schöpfung.
Spielen deckt somit die meisten Kompetenzbereiche ab. Erweitert wird der Spielbegriff durch Kunst und ästhetisches Handeln.
Aus heutiger Sicht weder einfach zu verstehen, noch interessant oder gar werbeträchtig formuliert. Was hatten wir uns dabei gedacht? Kein Wunder, dass diese verkopfte Sicht der Dinge Misstrauen und Begehrlichkeiten weckte.
Weil die Texte aus dem Didaktischen Konzept und der Werbebroschüre noch weiter vereinfacht werden sollten, um in Aufmachung und Tonfall mit den Inhalten unserer im Entstehen begriffenen Schulhomepage zu korrespondieren, musste sich die Elterngruppe das Ganze noch einmal vornehmen. Dabei stellte sich heraus, dass wir bei der Entstehung der Website dringend Hilfe benötigten. Deshalb wendete sich einer der Elternvertreter an einen Webdesigner aus seinem Bekanntenkreis. Aufgrund der persönlichen Empfehlung und seines netten Auftretens erschien uns der junge Mann geeignet. Erst viele, immens hohe Stundenabrechnungen später, wurde unser Buchhalter misstrauisch. Vor dem einberufenen Komitee begründete der WebMensch die horrenden Summen mit seinem angeblich hohen Zeitaufwand. Wer ständig verkehrte oder unvollständige Texte geliefert bekäme, säße eben immer wieder am Umbau der Seiten und Wechsel des Layouts.
Beim Nachhaken stellten Experten aus der Kommission SPAM-Probleme bei den Speichermedien fest, besonders bei den privaten Laptops von Kollegen und Eltern. Erst viel später kam heraus, dass es sich nicht um technische Fehler handelte, sondern um gezielten Ideenklau. Wir waren sozusagen einem Spionageangriff ausgesetzt gewesen. Inwieweit auch angebliche Eltern aus der Gruppe verantwortlich zeichneten, lässt sich heute leider nicht mehr feststellen. Einige von uns entwickelten da bestimmte Verschwörungstheorien. Fest stand jedoch:
Der -oder die subversiven Elemente, hatten genau den richtigen Moment der didaktisch-programmatischen Projektentwicklung für ihren Zugriff abgepasst. Nämlich jene sensible Schnittstelle zwischen Ideensammlung und Konzept.
Mit dem Datenklau,- plötzlich waren USB-Sticks verschwunden und auf einigen PC´s schienen wichtige Dateien gelöscht worden zu sein-, wurde uns unsere eigentliche Verwundbarkeit klar. Unbedacht waren wir gerade dabei, ein wertvolles PRODUKT zu erschaffen, das Begehrlichkeiten wecken könnte. Oder Misstrauen hervorrief. Naiv hatten wir uns an der Formulierung von Inhalten festgebissen, ohne deren eigentlichen Marktwert zu erkennen. Uns war zwar klar, dass Ideen im Kopf einer sorgfältig geplanten Realisierung bedürfen, aber dass ein fertiges, ausformuliertes Konzept als wertvolles Produkt „Warenzeichencharakter“ besitzt, wussten wir nicht. Nach diesem bösen Erwachen mussten für den Schutz unseres gedanklichen Gutes dringend Vorkehrungen getroffen werden.
Wie zufällig gerieten wir in jener Phase der Schulentwicklung an angeblich versierte Marketingexperten, die uns auch ein „sicheres Intranet“ versprachen. Erst viel später sollte sich herausstellen, dass dieses angebliche Unternehmen Bildungsspionage betrieb, um unserer Institution das Urheberrecht für unser Bildungskonzept abspenstig zu machen. Wahrscheinlich hatten das Designbüro und die Vermarktungsfirma sogar von vornherein eng zusammen gearbeitet, gemeinsam von unserer Dummheit profitiert und mit unserer Naivität gespielt. Denn bis wir dahinter kamen, dass es die Marketingleute waren, die Texte verschwinden ließen, ja sogar nach und nach das gesamte Konzept stahlen, war es zu spät für Reklamationen.
Wenn ich an Damals zurück denke, erscheint mir unsere naive Grundhaltung völlig annormal.
Der Bär war nach der Entdeckung der Farce beinahe ausgerastet. Es hatte nicht viel gefehlt und der Designer wäre vom Alten massakriert worden. Es war aber auch wirklich ungerecht, wie unsere guten Weltverbessererideen in den falschen Köpfen landeten. Sollten etwa Andere entscheiden, wie tauglich und verwendbar unsere wertvollen Gedanken waren und welche überflüssigen Passagen verschwinden sollten?
Wieso sei es möglich gewesen, unsere Bildungsutopie schamlos zu zerstückeln, zu stehlen und ohne Skrupel weiterzuverkaufen?
Wie so oft in der Welt, antworteten die Pragmatiker, gehe es nicht um Inhalte, sondern um den Sachwert. Also den reinen Profit.
Leider fanden wir nie heraus, welche Käufer oder Interessenten hinter der Perfidie steckten. Der Bär war sich sicher, Auftraggeber seien die staatlichen Spionageorganisationen verschiedener deutscher und dänischer Dienste, die eine bevorstehende „Linke Revolution“ von unserer Seite befürchteten. Stolz hatte er damals behauptet, man würde uns für eine Terrororganisation halten. Andere, eher moderat denkende Kollegen, vermuteten, dass raffinierte Datendiebe die Täter seien, die durch den Handel mit außergewöhnlichen Ideen im Darknet ein lukratives Geschäft mit enorm großen Gewinnspannen witterten.